Das Oberbleicher Fenster

Primiz von Ludwig Ruf 1939

In der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ im Bendlerblock in Berlin wird die Erinnerung an Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime wach gehalten. Dort findet sich auch ein Bild aus Oberbleichen. Im Jahr 1939 kam es zu Vorgängen um die Primiz des Neupriesters Ludwig Ruf, die es auch vor Ort wert sind, nicht in Vergessenheit zu geraten. Darum befindet sich unter dem nördlichen Chorfenster der Filialkirche St. Zeno seit 2005 eine Gedenktafel.

Der damalige Primiziant erzählte im Jahr 1982 selber:

„1939 waren kirchliche Feiern und kirchliches Leben verschiedensten Bedrängnissen ausgesetzt. Auffallend ist, dass wir –  gerade in dieser schwierigen Zeit,  in unserer Diözese einer der stärksten Weihejahrgänge überhaupt waren. Primizfeiern durften zu dieser Zeit, ebenso wie religiöse Feiern öffentlich nicht mehr – wenn nur unter größten Einschränkungen gehalten werden. So wurde ich am 2. Juli 1939 zum Priester geweiht. Für den kommenden Sonntag, den 9. Juli, war dann meine Primizfeier vorgesehen. Sie sollte im Freien stattfinden und es wurde hierfür, bei uns im Garten, auch ein Altar errichtet. Am Freitagmittag kam dann die Polizei aus Krumbach und teilte uns mit, dass es verboten ist, die Primiz im Freien zu halten, da Primizfeiern generell nicht mehr im Freien gehalten werden  dürfen. Vielsagend und interessant dabei waren ihre Worte: „Wir müssen auch nur unsere Pflicht tun!“

Da wir in Oberbleichen aber nur ein sehr kleines Kirchlein haben, tauchte natürlich sofort die Frage auf: ’Wo können wir dann die Primiz halten?’ Wir haben überlegt, was wir tun können. Schließlich sind wir mit dem Bürgermeister  am Samstagvormittag nach Krumbach zum Landrat und haben versucht, eine Sondergenehmigung zu erhalten. Sowohl der Landrat als auch der Bürgermeister – obwohl überzeugte Anhänger des Dritten Reiches, waren dafür.

Der Landrat hat dann den Gauleiter Wahl angerufen. Dieser entschied aber, dass es keine Sondergenehmigung gibt. Alle Bemühungen waren schließlich vergeblich, es blieb  nach Wahls Spruch beim Nein: ‚Keine Sondergenehmigung!’  Die Primiz konnte nicht im Freien stattfinden!

Damit waren wir soweit wie vorher. Ich entschied mich dann, meine Primiz in der Kirche zu halten. Die Kirche in Unterbleichen ist zwar ein bischen größer, aber meine Entscheidung war klar: ‚Ich bin von Oberbleichen und halte auch meine Primiz in Oberbleichen!’ Am Samstagvormittag kam dann der Pfarrer Steppler aus Oberwiesenbach und schlug mir vor: ‚Komm, Du bist doch auch ein halber Wiesebacher, Deine Mutter kommt von Oberwiesenbach, halt’s in Wiesenbach, da haben wir eine Große Kirche und mehr Platz!’ Ich bedankte mich bei Pfarrrer Steppler für seine Mitsorge, blieb aber bei meiner Entscheidung. Ich sagte zu ihm:’ Ich bin ein Oberbleicher und halte auch meine Primiz in Oberbleichen. Mir tut’s leid um die Leute. Aber meine nächsten Angehörigen haben in der Kirche Platz und zum anderen sehen die Leute auch, was los ist!’

Ja und nun war das Problem mit den vielen Leuten. Denn die wollten ja auch mitfeiern und vom Prediger etwas hören. Wir kamen dann auf die Idee und brachen beim Altar ein Fenster aus. Innen in der Kirche stellten wir eine Notkanzel auf und von da aus hat der Prediger dann gesprochen. Die Primizfeier als solche fand damit in der Kirche statt, de facto aber auch – wobei nicht verfolgbar (!) – im Freien.

Es hat dann zuvor noch einige Stimmen gegeben, die uns ermunterten, wir sollten die Primiz doch im Freien halten. Wir haben aber befürchtet, dass ein Einschreiten der Polizei erfolgt, es sein großes Durcheinander gibt und mit polizeilichen Verfolgungen gerechnet werden muß.  Erst später habe ich dann erfahren, dass – hätten wir die Primiz trotzdem im Freien gehalten, nichts passiert wäre. Die Polizei wäre nicht eingeschritten oder die Primiz gar verboten worden. Es hätte mich halt eine Strafe gekostet. Ob dies wirklich der Fall gewesen wäre, kann man natürlich nicht sagen. Es wäre gewiß auf den einzelnen Polizisten angekommen.

Ober- und Unterbleichen war zu dieser Zeit eine Hochburg des Dritten Reiches. Insbesondere deshalb, weil bei uns der Lehrer Reiser war. Dieser hat als Lehrer und Chorregent, so kann man sagen, 4/5 der Bürger hinter sich gebracht. Diese waren alle ganz fanatische Anhänger des Dritten Reiches. Ungefähr 1/5 der Bleicher Bürger sind gegen das NS-Regime gewesen. Hierunter war meine ganze Verwandschaft, mein Vater und sein Schwager in Unterbleichen, der Bürgermeister Böck von Unterbleichen – es waren also bestimmte Häuser, die ‚schwarz’ und damit dagegen waren. Die anderen waren überwiegend Anhänger des dritten Reiches. Eigenartigerweise haben diese damals die Vorgänge um meine Primiz nicht als besondere Schikane registriert. Die haben das halt einfach hingenommen und gesagt: ‚Ja des muaß halt so sei!’

Die anderen, die gegen das Regime waren, haben natürlich ‚mordsmäßig resoniert’. Ich weiß da bloß noch von meinem Bruder, der sich hierüber riesig aufgeregt hat. Ich konnte zu ihm und den anderen daher nur sagen: ‚Komm’s seid still, es hat alles keinen Wert, wir können nichts ändern’.

Ein Satz aus meiner Primizpredigt, die Geistlicher Rat Matthias Weilbach, ein gebürtiger Oberwiesenbacher hielt, der zu dieser Zeit Kaplan in Scheidegg war, ist mir unvergessen geblieben: ‚Hic niger est, hunc tu Germane caveto!’ Dies  ist eine Abwandlung eines Spruches – wohl von Taqcitus – und besagt: ‚Dies ist ein Schwarzer! Deutscher, hüte Dich vor Ihm!’ Kaplan Weilbach hat in der Predigt ausgeführt, dass die Kirche verfolgt wird und in diesem Zusamenhang darauf verwiesen, dass trozdem so viele junge Menschen Theologie studieren. Wir hatten 1939 ja einen ‚Rekord-Kurs’ mit 44 Neupriestern. Ab 1933, in der Zeit der Verfolgung, nahm die Zahl der Theologiestudenten eher noch zu. Natürlich hing das bei uns auch damit zusammen, dass wir immer schon ein starker Kurs waren. Der eine oder andere hat nach dem Abitur schon zu einem gesagt: ‚Wie kann man heute noch Theologie studieren?’ Aber es ist eigenartig: In der Verfolgung wachsen ungeahnte Kräfte. In der Selbstverständlichkeit der Freiheit, da erschlafft komischerweise vieles!’.“ 

(Nach einem Gespräch mit Msg. Ludwig Ruf im Jahr 1982)